Am 12.11.2014 hat das Bundesverwaltungsgericht mündlich verhandelt in den Rechtssachen
BVerwG 8 C 52.12, 8 C 53.12, 8 C 54.12 und 8 C 55.12.

In diesen Verfahren war jeweils streitgegenständlich eine Untersagungsverfügung basierend auf ausgelaufenem Recht, die zwischenzeitlich durch die jeweils beklagten Städte und Revisionsklägerinnen der aktuellen Rechtslage angepasst wurden und aus Sicht der Behörden deshalb auch unter dem ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag fortgelten sollten. Auch waren die ursprünglichen Bescheide auf das staatliche Sportwettmonopol gestützt. Die dagegen erhobenen Klagen hatten spätestens im Berufungsverfahren Erfolg. Nachdem die Beklagten Revision eingelegt hatten, wurde das Sportwettmonopol im Jahre 2012 durch den ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag für eine Experimentierphase von 7 Jahren ausgesetzt und durch ein Konzessionssystem abgelöst.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht stritten nun die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit der Untersagungsbescheide unter der Konzessionsregelung. Vorsorglich hatten die Beklagten die Begründung der Bescheide im Revisionsverfahren durch nachgeschobene Ermessenserwägungen geändert und begründeten die Untersagung nun mit der Sicherung des noch laufenden Konzessionsverfahrens, Gesichtspunkten der Gefahrenabwehr und der Ungewissheit, ob die jeweiligen Klägerinnen und Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Vermittlungserlaubnis erfüllen. Die beklagten Städte machten als Revisionsklägerinnen geltend, die nachgeschobenen Erwägungen müssten im Prozess berücksichtigt werden. Im Übrigen seien die Untersagungen auch deshalb rechtsmäßig, weil das gesetzlich eingeräumte Untersagungsermessen sich in den streitigen Fällen zu einer Verpflichtung verdichtet habe, also die Vermittlung zwingend zu untersagen sei. Bezug genommen wurde hier auf die Figur des intendierten Ermessens, bzw. auf eine Ermessensreduzierung auf Null. Dieser Sachverhalt ergibt sich auch aus der Terminsnachricht auf der Seite des Bundesverwaltungsgerichtes. Wir haben diese in der Anlage beigefügt.

Nachdem der Senat den Verfahrensbeteiligten das vorläufige Ergebnis seiner Beratung und eine zusammenfassenden Darstellung der Rechtsauffassung des Senates zu den jeweils aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen mitteilte, wurde nach entsprechender Erörterung der Sach- und Rechtslage in sämtlichen Verfahren die Revisionen durch die jeweiligen Beklagten/Revisionskläger zurückgenommen.

Im Wesentlichen teilte der Senat folgende vorläufige Rechtseinschätzung den Beteiligten mit:

  1. Für die Frage der Zulässig des Nachschiebens von Gründen/Ermessenserwägungen ist zwischen der verwaltungsverfahrensrechtlichen und der prozessrechtlichen Seite zu unterscheiden. Vor allen in den nordrhein-westfälischen Verfahren wurde unter verwaltungsverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten die Frage der Anforderungen an Form und Bestimmtheit intensiv erörtert.
  2. Auch wenn § 114 VwGO auch im Revisionsverfahren (wohl) anwendbar ist, darf durch ein Nachschieben nicht das Wesen des Verwaltungsaktes maßgeblich verändert werden.
  3. Soweit durch das Nachschieben von Gründen auf die alte Rechtslage gestützte Untersagungsverfügungen nunmehr für die Zukunft gestützt werden auf die aktuelle Rechtslage, also den ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag, werden sie gestützt auf einen vollständig neuen Normenkatalog, mit dem das Monopol im Bereich der Sportwettvermittlung aufgegeben wurde. Damit wird das Wesen des Verwaltungsaktes maßgeblich verändert und die Grenzen des § 114 VwGO überschritten.
  4. Prozessual bedeutet dies, dass der Streitgegenstand durch ein solches Nachschieben von Gründen geändert wird. Dies ist nur zulässig mit Zustimmung des Klägers, bzw. bei durch das Gericht angenommener Sachdienlichkeit. Im Revisionsverfahren ist eine Änderung des Streitgegenstandes grundsätzlich ausgeschlossen (§ 142 Abs. 1 VwGO).
  5. Aus dem Gesetz ergibt sich kein intendiertes Ermessen, welches die Ordnungsbehörde zum Einschreiten zwinge. Dies ergibt sich weder aus der Ermächtigungsgrundlage des § 9 GlüÄndStV selbst, noch unter Berücksichtigung der Gesamtkonzeption der Vorschriften des GlüÄndStV. Es obliegt weiterhin der Behörde darüber zu entscheiden, ob sie überhaupt einschreitet oder aufgrund der besonderen Umstände, insbesondere während des noch laufenden Konzessionsverfahrens, von Untersagungsmaßnahmen Abstand nimmt. Das Opportunitätsprinzip als Unterfall der Ermessensentscheidung besteht fort.
  6. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor. Dies ergibt sich bereits aus der vergangenen Rechtsprechung des Senates. Insbesondere folgt aus einer Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 284 StGB keine solche Ermessensreduzierung auf Null.

Für die Revisionskläger war es angezeigt, die Revisionen zurückzunehmen. Da in der Sache noch keine Anträge gestellt waren, bedurfte es einer Zustimmung auf Seiten der jeweiligen Kläger/Revisionsbeklagten nicht.
Die Verfahren wurden eingestellt. Die Kosten wurden (zwingend) den Revisionsklägern auferlegt.

Für die derzeit in den Tatsacheninstanzen noch anhängigen Verfahren, in denen streitgegenständlich eine Untersagung bezogen auf die ausgelaufene Rechtslage (Monopol) ist, sind nachfolgende Punkte zu bedenken:

  1. Ist in der Berufungsinstanz eine Klageänderung durch die Berufungsbeklagte nur im Wege der Anschlussberufung möglich? Diese wäre verfristet. (vgl. BVerwG Urteil v. 16.01.1986 - 5 C 36/84; BGH Urteil vom 07.12.2007 - VZR 210/06 ; VGH BW Urteil vom 14.11.2013 - 1 S 2388/12; VGH BW Urteil vom 07.08.2012 - 5 S 1749/11)
  2. Dem Nachschieben von Gründen ist ausdrücklich zu widersprechen. Die Sachdienlichkeit ist abzulehnen, da durch diese der Streitstoff gänzlich verändert wird.
  3. Selbst bei Zulässigkeit der Klageänderung sind die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage (Klageänderung) zu überprüfen. Es darf aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips bei Einführung eines neuen Streitstoffes keine unzulässige Umgehung des Verwaltungsverfahrens und des Vorverfahrens vorliegen. Dies gilt umso mehr, als Fragen der Erlaubnisfähigkeit durch die Verwaltung zu überprüfen sind und diesbezüglich zwingend ein Vorverfahren voranzugehen hat.

Viele dieser sog. Alt-Verfahren konnten zwischenzeitlich durch uns im Wege des Vergleiches abgeschlossen werden. Eine u.U. langjährige weitere gerichtliche Auseinandersetzung konnte so im Sinne unserer Mandanten vermieden werden.

 

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